Der narkotisierende Sozialstaat

Vier Problemzonen für Südafrika benennt Mamphela Ramphele in ihrem aufrüttelnden Buch „Conversations with My Sons and Daughters“:

  • Bildungsmisere im Volksschulbereich
  • Jugendarbeitslosigkeit
  • Fortbestehende Segregation und
  • Hohe Kriminalität

Unter den Reaktionen auf diese erdrückende und drängende Aufgaben-Last nehme ich viel Gemeinsinn wahr, Bereitschaft zum bürgerschaftlichen Engagement, eine starke, wache Zivilgesellschaft. Frauen, die alle Grenzen überwinden, sich selbst ermächtigen und zupacken. In der Schweiz kämen sie rasch in Konflikt mit irgendwelchen Professionen, die sich zuständiger und kompetenter fühlen und im besten Fall herablassend auf Laienarbeit blicken. Volle Kirchen und andere sinn- und identitätsstiftende Communities aller Art.

Ich komme um die beunruhigende Frage kaum mehr herum, ob der für- und vorsorgende Sozialstaat, wie wir ihn in Europa aufbauen, schläfrig macht. Ob ein bestimmtes Mass an Sozialer Sicherheit uns betäubt – dann wäre es ein Übermass. Wo läge dieses Übermass, wie wird es festgestellt? Wie könnte die Eingrenzung staatlicher Absicherung gegen Schicksalsschläge aller Art dem politischen Tagesgeschäft entzogen und versachlicht werden? Sind das nicht Fragen, derer sich Soziale Arbeit ohne Vorbehalte annehmen müsste, wenn sie über ihre Rolle als Bewältigungs-Gehilfin hinauswachsen und zur Expertin werden will?

Die Ökonomische Analyse des Rechts beschreibt die Kollektivierung wirtschaftlicher Risiken über Figuren wie die Juristische Person oder die Haftpflicht als Schlüsselinstrumente für wirtschaftliche Entwicklung. Wer nicht damit rechnen kann, dass der von ihm als Unternehmer riskierte Schaden in der Allgemeinheit, unter den Versicherten oder im Kreis geprellter Aktionäre versickert, der riskiert auch nichts. Risiko aber ist in einer Marktwirtschaft erwünscht – in einem Masse, das über das Recht zu steuern ist.

Analog dazu brauchen wir eine Affektlogische Analyse des Helfens. Sie könnte die Bedingungen erforschen und beschreiben, unter denen Sozialstaatlichkeit Zivilgesellschaft schädigt und unseren Gemeinsinn betäubt. Sie könnte einen Beitrag dazu leisten, die historisch gewachsene, aus vielen Kämpfen in der Art eines Kompromisses hervorgegangene Arbeitsteilung zwischen öffentlich und privat getragener Solidarität weiterzuentwickeln zu einem optimierten Konzept rationalen Ressourceneinsatzes. Und sie könnte, auf der Grundlage damit errungener Glaubwürdigkeit, auch die Grenzen auferlegter Solidarität aufzeigen, bevor deren Strapazierung von Populisten aller Couleur zum eigenen Nutzen ausgeweidet wird.

 

Besuch

Ich brauche keine Distanz des Vergessens, sondern eine, die das Verarbeiten und die Rückgewinnung des Augenmasses erlaubt. Das geschieht nicht nur introspektiv, sondern verlangt nach einer bewussten Öffnung für das Neue, das Sich-Einlassen auf Unbekanntes, vielleicht Fremdes. Produktive Einsamkeit.

Ein Freund von mir war einmal gar nicht begeistert über meine Begeisterung als er mir seine Sabbatical-Pläne verriet. Besuch will handverlesen sein.

Es darf nur kommen, wen ich eingeladen habe. Nur ganz wenige.