Verhängnisse

Genug des Ich-Bezugs? Meine Zeit hier neigt sich ihrem Ende zu und es drängt mich, neben aller Dankbarkeit für grosse Gastfreundschaft, die Eindrücke zu bündeln, die sich mir im Hintergrund meiner Fragen abgelagert haben. Nicht Urteile – Vorurteile werden es bleiben, dessen bin ich mir wohl bewusst; oft genährt eher durch Schweigen oder Antworten der Ausflucht denn im offenen Gespräch. – Ich erlaube mir weiterhin Subjektivität. Wer einen Reisebericht erwartet, möge weiterklicken. Es ist die Resonanz in uns, die oft den Schlüssel liefert zu tieferem Verständnis.

Ich begegne in neuem Zusammenhang („Imperien der Weltgeschichte – Das Repertoire der Macht“) der VOC, der mächtigen niederländischen Vereinigten Ost-Indien-Companie des 17. Jahrhunderts. Die Figur der juristischen Person war zu dieser Zeit im Entstehen, weil die Mobilisierung des bisher an den Boden gebundenen Kapitals Schwung bekam und gesteuert werden musste. Und offenbar bot sich die „Kompanie“ nicht nur an, privates Geld risiko-minimiert zu investieren, sondern sie wurde auch ganz handfest zu Zwecken des Imperialismus und Kolonialismus mit Freipässen ausgestattet zum Kriegen, zum Schlachten und zu Massen-Verschleppungen. Der „Erste Multi“ unterhielt Armee, Kriegsflotten und Waffenarsenale und das nicht etwa zu Verteidigungszwecken in wildem Gelände. Es liest sich wie das Outsourcing eines dreckigen Geschäfts, die Lizenz zum Genozid. Der fand aber zunächst – in Konkurrenz zur portugiesischen Seemacht und ihr ausweichend – weit weg in Indonesien statt. Europa erntete bloss mit langem Arm die süssen und würzigen Früchte. Wie so oft.

Die VOC kommt in jedem südafrikanischen Geschichtsbuch vor, aber dieses weisse Südafrika war aus globaler Sicht zunächst nur eines ihrer Nebenprodukte, nichts als ein Versorgungsstützpunkt am Kap, das auf dem Weg nach Südostasien zu umrunden war. Zum Hotspot wurde die Gegend erst, als sich auch die aufstrebende Seemacht England für das Kap zu interessieren begann. Es wäre zwar naiv zu glauben, erst von da an sei die Geschichte Südafrikas zum Blutbad geworden. Aber es wurden hier doch noch ganz andere, innereuropäische Konflikte ausgetragen als die Rassenkonflikte, wie wir sie heute gerne im Vordergrund sehen. Und dies mit grosser Brutalität. Man sagt, das Konzentrationslager sei hier erfunden worden. Von Weissen für Weisse.

Die Traumata wirken bis heute fort und wir haben mit unserer Boykott-Politik gegenüber dem Apartheidsstaat zu ihrer Heilung nicht beigetragen. Begründete Ängste vor dem Verlust von Privilegien mischen sich mit Überlebensängsten bis hin zur diffusen Furcht vor Genozid. Auch im Gespräch mit Intellektuellen stellte sich hin und wieder dieses mulmige Gefühl ein, das ich lange nicht verstand. Es wurde mir als Aussenstehendem bewusst, das man nicht alles sagen muss um einander zu bedeuten, wovon man spricht. Reiz- oder Codewörter, Mimik, plötzliche Stimmungstrübungen. Erst in den letzten Wochen konnte ich sie zusammenfügen und verstehen.

Falls die Spätfolgen der Apartheid je soweit überwunden werden sollten, dass Distanz alte Tabu’s auflöst und Differenzierung zulässt, wird noch Vieles zu verarbeiten sein. Aber vielleicht tut ein Generationenwechsel seinen Dienst und es geht nicht nochmal bis ins siebte Glied. Wie die jungen Szenen zeitgenössischer Kunst in einer weltoffenen Metropole wie Kapstadt an die Bewältigung komplexer Geschichte herangehen, lässt hoffen.

Dafür, dass weltweiter Boykott ein Teil dazu beitrug, dass die Alte Garde abtreten musste, dafür scheint man dem Rest der Welt im Übrigen dankbar zu sein. Wohlwollende Aufmerksamkeit der Studierenden aller Couleur war mir sicher, als ich darüber sprach, wie die engen Beziehungen zwischen der Schweiz und dem Apartheidstaat uns auf die Strasse getrieben haben.

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